Pauschalgenehmigung erteilt

Gewerbeaufsichtsamt erlaubt "frühzeitigen Maßnahmenbeginn"

Nicht wenige hatten sich gewundert, dass auf den Hafenflächen munter gebaut wird, obwohl keine Baugenehmigung am Zaun hängt und noch nicht einmal das Bauleitverfahren abgeschlossen ist.

Gemeinde und Landkreis verweisen auf das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt Oldenburg, das für sämtliche Genehmigungsverfahren von Biogasanlagen zuständig sei, die mehr als 100 t pro Tag umsetzen. Die geplante Anlage soll 343 t pro Tag umsetzen.

Auf Anfrage teilte das Oldenburger Gewerbeaufsichtsamt am 26.3.2024 mit:

"Am 19.02.2024 wurde vorläufig zugelassen, dass bereits vor der Erteilung der Genehmigung mit bauvorbereitenden Maßnahmen und Gründungsarbeiten sowie Errichtung der Fundamente und der Rohbauten begonnen werden kann.

Nach § 8 a BImSchG soll die Genehmigungsbehörde in einem Verfahren zur Erteilung einer Genehmigung nach dem BImSchG vorläufig zulassen, dass bereits vor Erteilung der Genehmigung mit der Errichtung begonnen wird, wenn

  • mit der Entscheidung zugunsten des Antragstellers gerechnet werden kann und
  • an dem vorzeitigen Beginn ein öffentliches Interesse oder ein berechtigtes Interesse des Antragstellers besteht und
  • der Antragsteller sich verpflichtet, alle bis zur Entscheidung durch die Errichtung der Anlage verursachten Schäden zu ersetzen, und wenn das Vorhaben nicht genehmigt wird, den früheren Zustand wiederherzustellen.

Eine Prüfung des Antrages und der erläuternden Unterlagen durch die zuständigen Fachbehörden und die Genehmigungsbehörde hatte zum Ergebnis, dass mit einer Entscheidung zugunsten der Antragstellerin gerechnet werden kann. Das berechtigte Interesse an der Zulassung des vorzeitigen Beginns hat die Antragstellerin begründet.
Nach § 8 a BImSchG konnte der vorzeitige Beginn der beantragten Errichtung im genannten Umfang daher zugelassen werden."

Wir fragten daraufhin nach, wie das Entscheidungskriterium "Öffentliches Interesse" ermittelt worden sei, ob dafür z.B. eine Klimabilanz des Projekts aufgestellt worden sei und bekamen die Antwort:

"... Es ist durchaus im öffentlichen Interesse, dass fossile Energieträger durch erneuerbare Energie ersetzt wird. Dies ist im Europäischen Klimaschutzziel fest verankert. Nach dem Europäischen Klimagesetz müssen die EU-Länder die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 % senken. Die nationalen Ziele sind etwas strenger gefasst mit 65 % bis 2030. Ein Beitrag dazu leisten Biogasanlagen. In diesem Fall sollen 17.17 Mio. m³ / Jahr Biogas erzeugt werden. ..."

Was uns für eine Sondergenehmigung sehr pauschal geurteilt erscheint, vor allem, weil es sich um eine Anlage handelt, bei der Hühnermist per LKW aus zwei Landkreisen in einen dritten gefahren, das Biogas aufwändig gereinigt und komprimiert und die Gärreste mehrere Hundert Kilometer weit wegefahren werden sollen. Eine pauschale Beurteilung ohne konkrete Energie- bzw. Klimabilanz erscheint uns nicht ausreichend. In einer eigenen, überschlägigen Bilanzrechnung kommen wir vielmehr zu einer negativen - klimaschädlichen - Bilanz.

Mit einer kritischen Beurteilung der geplanten Biomethangsnutzung im allgemeinen Gasnetz sind wir nicht allein. Das ifeu-Institut für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg sieht beispielsweise die Nutzung von Biomethan im Gasnetz kritisch, weil sie relativ uneffektiv ist, andere Nutzungen verhindert und den Umbau der Heizungssysteme verzögert:

"Für die Hauptzielgruppe der Verbraucher ist es wahrscheinlich, dass sie eine Ökogaszertifizierung als Kaufempfehlung für Ökogas für ihre typischen Haushaltsanwendungen sehen würden. Ein Verbraucher, der „etwas für die Umwelt tun möchte“, könnte also einen Ökogastarif für seine Heizungsanlage abschließen – nicht ahnend, dass er dadurch potenzielle Ökogas-/Biomethanmengen ökologisch sinnvolleren Anwendungen entzieht. In Anbetracht der beschränkten Möglichkeiten der Verbraucher, beispielsweise Mini-KWK-Anlagen zu betreiben, ist nicht davon auszugehen, dass eine Zertifizierung günstigere Einsatzpfade effektiv unterstützen könnte. Vielmehr hätte eine Zertifizierung von Biomethanprodukten ökologische Fehlleitungen zur Folge."

Auf unsere Kritik antwortete das Gewerbeaufsichtsamt, dass auf das öffentliche Interesse auch verzichtet werden könne, wenn die anderen Punkte zuträfen. Was letztlich heißt, wenn ein "berechtigtes Interesse des Antragstellers" besteht und die Entscheidungsträger vor Ort mitmachen.

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Das bedeutet, dass  kein übergeordnetes, allgemeines Interesse für das Projekt nötig ist, sondern lediglich das Eigeninteresse des Antragstellers und eine positive Prognose der örtlichen Genehmigungsbehörden, um von der übergeordneten (Kontroll-)Behörde die Genehmigung für einen vorzeitigen Maßnahmenbeginn zu bekommen.

Was gleichzeitg bedeutet, dass für das übergeordnete Ziel, vorzeitig mit der Maßnahme beginnen zu dürfen, kein übergeordnetes, allgemeines Interesse nötig ist.

Wir halten das für eine höchstproblematische Entscheidung, die den Kommentar von "Bauer" bestätigt: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.

Im Kern bedeutet diese Entscheidung, dass die übergeordnete Behörde auf ihre Kontrollfunktion verzichtet und Absprachen vor Ort einfach durchwinkt.

Und noch etwas:

Das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt reagiert leicht verärgert über unsere Fragen, verweist auf die Beteiligungsrechte der Öffentlichkeit in dem Verfahren und fügt den folgenden Link bei:

https://uvp.niedersachsen.de/trefferanzeige?docuuid=16cef8bc-c40f-4a62-b5a2-914887307595

Leider handelt es sich dabei aber lediglich um die Entscheidung, keine UVP-Prüfung vorzunehmen, nicht um die Genehmigung des vorzeitigen Maßnahmenbeginns, und leider gibt es dort keine Beteiligungsrechte, im Gegenteil:

"Diese Feststellung wird hiermit der Öffentlichkeit bekannt gegeben. Sie ist nicht selbständig anfechtbar".

Entweder wurde das Franz-Kafka-Jubiläumsjahr hier mal so richtig ernst genommen, oder die Behörde will sich nicht in die Karten schauen lassen.

Und noch etwas:

Nach unseren Berechnungen ergeben 343 t Hühnermist pro Tag ca. 6 Mio.  m³ Biogas pro Jahr. Das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt geht von 17,17 Mio. m³ pro Jahr aus, also fast die dreifache Menge.

Mögliche Erklärungen:

  • Wir haben uns vertan (unwahrscheinlich, weil mehrfach nachgeprüft),
  • die Behörde hat nicht nachgerechnet,
  • im Antrag wurde mit überhöhten Summen agiert,
  • ...

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Kommentare: 1
  • #1

    Wolf Jost (Dienstag, 30 April 2024 10:21)

    Zum Biogas-Ertrag hätte ich gerne den verwendeten Rechenweg. Entscheidend ist sicher, ob der Hühnermist als Frischmist (56 cbm Biogas-Ertrag) oder als Hühnertrockenkot (HTK 175 cbm Biogas-Ertrag) angeliefert wird. Da die meisten Hühnerställe HTK ohne Stroh liefern, erscheinen mir die 17 Mio cbm Biogas nicht völlig unrealistisch. Das scheint aber auch das einzig korrekt Berechnete in diesem ganzen obskuren Hafengetue zu sein